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Der Osten bleibt anders

Im Vergleich zu westdeutschen Landesverbänden sind die Mitgliederzahlen im Osten Deutschlands bei Bündnis 90/Die Grünen immer noch relativ niedrig. Das ist nicht nur auf eine gewisse organisatorische Schwäche zurückzuführen, die erst seit dem erfolgreichen Wiedereinzug in alle fünf Landesparlamente 2004 langsam überwunden wird, sondern auch auf die Tatsache, dass Ostdeutsche aufgrund ihrer historischen Erfahrung mit der DDR einem Eintritt in eine Partei skeptischer gegenüberstehen. So sind in Sachsen mit seinen 4,13 Millionen Einwohnern etwa 30.000 Bürger in der CDU, Linken, SPD und FDP engagiert, ihnen stehen 1.320 Mitglieder der Grünen gegenüber. Gar nicht so ein schlechtes Verhältnis zur Konkurrenz wird da manche/r meinen. Doch wenn man weiß, dass über 800 dieser 1.320 Mitglieder in Leipzig, Dresden und Chemnitz leben, wird das Problem deutlicher: Jeweils etwa 50 Mitglieder versuchen in den zehn Landkreisen grüne Politik zu machen. Und in diesen Kreisen leben nicht nur zwischen 200.000 und 360.000 Menschen, sondern auch die Entfernungen sind zum Teil eine Herausforderung.

Die Devise, mit wenigen Grünen viele Wähler zu bewegen, ist harte Arbeit für diejenigen, die versuchen, die grüne Struktur aufrechtzuerhalten. Auch der sächsischen SPD mit ihren 4.350 Mitgliedern geht es da nicht viel besser. Zudem ist Kommunalpolitik im ostdeutschen Freistaat ein hartes Stück Arbeit. Allmächtige Landräte und  Bürgermeister stehen Kreis- und Stadträten gegenüber, die fast nur in den Großstädten auf Fraktionsmittel zurückgreifen können, die eine Anstellung von Personal erlauben. Es ist ein typisch ostdeutsches Phänomen: Starke Verwaltungen, schwache Parlamente.

Ist unter solchen Bedingungen das Ziel "Kampagnenfähigkeit" da wirklich das richtige? Realistischer erscheint mir das Ziel, dauerhaft präsent in der öffentlichen Debatte zu werden. Und das gelingt mehr und mehr. Auch abseits der Großstädte. Das strahlt aus. Die Grünen verzeichnen auch im Osten Mitgliederzuwachs, nicht in Sprüngen, sondern Stück für Stück.

Es fehlen Koalitionserfahrungen

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014 werden für die Verankerung der Grünen im Osten sehr wichtig  werden. Wenn es etwa in Sachsen gelingt, in den zehn Kreistagen Fraktionsstärke zu erreichen und zudem noch in alle Stadträte der Mittelstädte einzuziehen, wird grüne Politik vor Ort für die Menschen ganz anders erlebbar als bisher. Dafür wird in den Kreisverbänden nicht nur nahezu jedes Mitglied für die Kandidatenlisten gebraucht, sondern es sind auch möglichst viele Sympathisantinnen und Sympathisanten vonnöten. Eine bessere kommunalpolitische Verankerung ist letztlich eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung in den ostdeutschen Ländern.

Trotz wachsender Ergebnisse von etwa 15 Prozent in den Großstädten Dresden, Jena, Leipzig und inzwischen ebenfalls zweistelligen Ergebnissen in weiteren Uni-Städten wie Weimar, Erfurt, Potsdam, Halle und Rostock gibt es kaum Regierungserfahrung. Trotz einzelner Dezernenten, wie in Jena, Rostock, Erfurt, früher auch Dresden, handelt es sich dabei kaum um feste Koalitionen. Die ostdeutschen Kreisverbände sind mit der Entscheidungsdichte in einer Koalitionssituation bisher nicht vertraut; ebenso wenig mit der dazu notwendigen Kompromissfähigkeit.

Je nach Situation im jeweiligen Bundesland sitzt in den ostdeutschen Ländern eine Partei (die CDU in Sachsen und Thüringen, die SPD in Brandenburg) schon seit dem Mauerfall am Ruder (Mecklenburg-Vorpommern tendiert nach Schwarz-Gelb von 1990 bis 1994 jetzt unter der SPD in eine ähnliche Richtung). Da fehlt definitiv der Wende zweiter Teil. 24 Jahre nach dem Fall der Mauer scheint die ostdeutsche Parteienlandschaft noch nicht sortiert genug für einen "normalen" Wechsel der Regierungspartei nach zwei oder drei Legislaturperioden.

Die parlamentarische Verankerung der ostdeutschen Grünen in den Landtagen steht nicht mehr infrage. Sie haben sich etabliert. In den Augen der meisten Wählerinnen und Wähler sind wir eine ganz normale Partei. Während die Grünen in Brandenburg (u. a. wegen ihrer Opposition gegen die Braunkohle-Förderung) und Mecklenburg gute Chancen haben, über kurz oder lang eine Koalition mit der SPD zu bilden, sieht die Situation im Südosten völlig anders aus. Die Schwäche der SPD und die Stärke der Linken stehen dort grüner Machtbeteiligung im Wege. Für die Wahl zwischen Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün müssen sich die Grünen selbstbewusst und eigenständig mit der Machtfrage auseinandersetzen. Schlimmstenfalls werden sie gar nicht gebraucht.

Der Ausgang der Bundestagswahl 2013 und die sich daraus ergebende Regierungkoalition kann, muss aber nicht Einfluss auf die Wahlkämpfe und Machtoptionen in den drei Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen haben, in denen 2014 gewählt wird.

Es fehlen prominente Köpfe

Natürlich steht auch im Osten die Umweltpolitik ganz weit vorn in der Kompetenzzuweisung für die Grünen. Doch "gutes Leben" ist in den neuen Ländern – trotz manch bunter Viertel in den Großstädten – noch lange nicht Mainstream. Die Herausforderung, eine allkompetente Partei zu werden, die ihr Grundprinzip der Nachhaltigkeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konnotationen dauerhaft, verlässlich, wertebeständig und sozialinklusiv politisch umfassend ausformuliert, ist unstrittig. Was schmerzlich fehlt, ist das Eingebundensein in über Jahre gewachsene Netzwerke. Engagierte Vereine schrecken oft davor zurück, sich politisch einzumischen. Wer beißt schon gern die Hand, die ihn füttert?

Erfolgreiche Politik braucht prominente Köpfe. Das hat die Wahl in Baden-Württemberg mehr als deutlich gemacht. Gerade bei der im Vergleich älteren Wahlbevölkerung in Ostdeutschland kommt einer wie Winfried Kretzschmann mit seiner unprätentiösen Art gut an. Manch schriller Eindruck, den die Grünen in früheren Zeiten vermittelten, wird dadurch korrigiert. In schwierigen Zeiten kommen die seriösen Typen besser an. Dass die Grünen mit dem ersten Ministerpräsidenten aus ihren Reihen in einer neuen Gewichtsklasse spielen, hat auch im Osten eine Bedeutung.

Braunkohle(verstromung) spaltet auch die Grünen

Ostdeutsche Grüne haben hingegen durchaus noch ein Wahrnehmungsdefizit. Hier gilt es, die Kräfte systematisch zu bündeln und gemeinsam größere Themen auch gegenüber der Bundespartei zu vertreten. Denn ostspezifische Themen werden weiter eine große Rolle spielen: Das gilt nicht nur für den Umgang mit Nazi-Gewalt und der NPD. Im Osten wird noch jahrzehntelang eine grundlegend andere Wirtschaftsstruktur und damit auch eine andere Forschungslandschaft vorherrschen. Mindestlöhne und Kinderarmut haben eine deutlich größere Verbreitung, dazu kommt der beschleunigte demografische Wandel. Fast ein ostdeutsches Alleinstellungsmerkmal ist inzwischen die Energiepolitik mit der Braunkohleverstromung geworden. Nicht zuletzt in den Kohleländern Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ist das eine Frage, die auch Grüne und SPD spaltet. Die betroffenen Regionen weisen weitgehend Monostrukturen auf und leiden unter zum Teil extremer Abwanderung. Der Osten bleibt anders und speziell – auch für die Bündnisgrünen. 


Antje Hermenau ist Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag.